01. Februar 2019 Thorsten Schultze wird neuer Leipziger Polizeipräsident.
28. Mai 2019 Nachdem eine Polizeistreife eine Abkürzung über den Campusinnenhof nimmt und dabei eine Person nach Drogen durchsucht, wird die Polizei durch den StuRa kritisiert. Die Diensthundeführerin der Polizei erklärt, dass dem StuRa ordentlich auf die Finger gehauen werden müsse. [1]
09. Juli 2019 Nach dem gescheiterten Versuch eine Abschiebung aus dem Viertel zu verhindern, geht die Polizei mit Gewalt in die Gruppe der Blockierer:innen, um den eingeschlossenen, aber leeren Streifenwagen zu befreien. Auch in den Tagen danach geht die Polizei vergleichsweise hart gegen Proteste im Leipziger Osten vor.
09. Oktober 2019 Eine linke Spontandemo, die den rechten Terroranschlag in Halle aufgreift und sich gegen Antisemitismus richtete, wird von der Polizei aufgelöst und in der Öffentlichkeitsarbeit wird später von Instrumentalisierungen gesprochen. [2]
18. Oktober 2019 Die Polizei übt Druck auf die Operativgruppe des Ordnungsamts aus, bei einer Demo die Parole „All Cops Are Bastards“ explizit zu verbieten. Die Stadtverwaltung Leipzig erklärt das Verbot später für rechtswidrig und erklärt solche Verbote nicht mehr zu erlassen. [2] Schultze kommentiert ACAB-Rufe gegenüber der Presse als „beunruhigend“. Die Demo wurde durch die Polizei aufgelöst. [3]
25. Oktober 2019 Brennende Mülltonnen werden durch die Polizeidirektion Leipzig, die den Feuerwehreinsatz absicherte, zu einem Angriff auf die Feuerwehr umgelogen. [4]
01. Januar 2020 Nachdem ein Polizeibeamter bei einem Versuch ungesichert jemanden in Gewahrsam zu nehmen verletzt wird, greift Polizeipräsident Schultze eine Person, die seine Einsatzführung kritisiert hat, namentlich via Pressemitteilung an und rückt sie in die Nähe des Angriffs auf den Beamten. Gleichzeitig spricht die Polizei von einem massiven Angriff auf sie, der sich nach näherer Betrachtung eher als harte Reaktion auf einen recht weit entfernten brennenden Einkaufwagen entpuppt.
Das ist nur ein kleiner Überblick über kritik- und fragwürdige Polizeieinsätze, nach dem Amtsantritt von Schultze stattfanden. Bestimmte Muster, wie das Erfinden von Angriffen auf Feuerwehr und Retttungsdienst, gab es bereits schon zuvor. Allerdings scheint subjektiv das härtere Vorgehen, welches weniger auf Deeskalation setzt, unter dem neuen Polizeipräsidenten zugenommen zu haben. Gleichzeitig sollte aber auch nicht in Vergessenheit geraten, dass in Leipzig-Schönefeld die Polizei 2014 Feuerlöschchemikalien gegen Linke eingesetzt hat [5].
In seinem Buch „Gegenrevolution“ zeichnet Bernhard E. Harcourt nach, wie Techniken der Aufstandsbekämpfung, die von französischen Militärs entwickelt wurden, über Kampfeinsätze des US-Militärs im Irak und Afghanistan in der Polizeipraxis der USA angekommen sind. Die französischen Militärs bezogen sich stark auf die Schriften von Mao, der eine Fibel für den Aufstand verfasste und antikoloniale Befreiungskämpfe beeinflusste.
Harcourt beschreibt drei Kernpunkte des Paradigmas der Aufstandsbekämpfung: totale Informationskenntnis, Markierung einer aktiven Minderheit, gegen die vorgegangen wird und Ablenkung, die er als Ringen um Herzen und Hirne bezeichnet. Die Ausführungen im Sinne der Bekämpfung des globalen, islamistischen Terrorismus treffen sich in ähnlicher Lage auch auf Europa und Deutschland zu, wie sie Harcourt für die USA beschreibt. An den Ablenkungen ist auch die Kulturindustrie beteiligt. Im Rahmen der Polizeiarbeit wurden wir momentan eine “Aufstandsbekämpfung ohne Aufstand” beobachten können.
Das Agieren der Polizei in Deutschland, ist noch nicht so stark militarisiert, wie in den USA, auch wenn die sächsische Polizei Sondereinsatzkommandos bei Demonstrationen einsetzt und zur Abschreckung gepanzerte Fahrzeuge auffährt, wie am 2. September 2017 in Wurzen. In gewisser Weise folgt auch die Polizeidirektion Leipzig dem Drehbuch der Aufstandsbekämpfung: Linksradikale werden stark unter Druck gesetzt und gleichzeitig baut die Polizei ein Narrativ des Schutzes vor dieser kleinen Gruppen auf, die ja schließlich selbst Feuerwehr und Rettungsdienst angreifen würde und damit Unbeteiligte gefährde. Aber keine Panik, die Polizei ist da und geht entschieden dagegen vor, selbst wenn sie dabei auch mal über die Stränge schlägt. Zusätzlich hat der sächsische Polizeiapparat eine gewisse Neigung zur Sammlung verschiedener Informationen, wie das ehemalige Projekt AK Datenbank anschaulich illustriert hat.
Deutschland und Leipzig im besonderen stehen noch nicht an der Stelle, an der der Polizeiapparat der USA steht, aber die Muster, insbesondere seit dem Torsten Schultze Polizeipräsident geworden ist, sollten uns beunruhigen und uns animieren näher hinzusehen.
Welchen konkreten einsatztaktischen Grund gab es beispielsweise am 09. Juli 2019 den unbesetzten Streifenwagen herauszuprügeln, anstatt einfach abzuwarten, bis die Leute nach Hause gehen? Waren eventuelle schwere Verletzungen als Abschreckungsstrategie für zukünftige Aktionen bzw. Versammlungen das Ziel? Mit Blick auf Harcourts Buch erscheint es möglich, dass die eingangs aufgeführte Übersicht Teil eines verändertem Vorgehens gegen die Leipziger Linke, in ihren verschiedenen Ausprägungen zwischen studentischer Selbstverwaltung, nachbarschaftlicher Solidarität und Silvesterfolklore, ist. Den Rahmen für das Handeln der PD Leipzig setzen auch Bundes- und Landespolitik, dennoch bin ich der Überzeugung, dass die Leitung der PD Leipzig ihre Lektionen von Mao gelernt hat.
[1] https://kreuzer-leipzig.de/2019/06/03/dem-studentenrat-gehoert-ordentlich-auf-die-finger-gehauen/
[2] https://antirepression.noblogs.org/post/2019/12/09/vorladungen-zur-ed-behandlung/
[2] https://twitter.com/4CLXI/status/1200433900599857157
[3] https://www.tag24.de/nachrichten/leipzig-eskalierte-demo-plagwitz-lindenau-demonstranten-kritisieren-polizei-1255777
[4] https://kreuzer-leipzig.de/2019/11/04/das-ist-doch-subjektiv/
[5] https://www.inventati.org/leipzig/?p=1566
(Wenige Wochen zuvor bin ich in Leipzig-Schönefeld nur knapp unprovozierten Schlagstockschlägen entgangen.)
Nachtrag 23.05.2020 17:00: Verweis auf Chemikalieneinsatz unter Polizeipräsident Bernd Merbitz.