Über die Bezüge der antisemitischen und verschwörungsideologischen Demonstrationen, die vorgeben sich gegen die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung zu richten, auf 1933 (als Bedrohung durch den Staat) und auf 1989 (als Selbstermächtigung gegenüber dem Staat) ist schon viel geschrieben worden. Der größte Teil dieser Texte, stammt ohnehin von Leuten, die deutlich kenntnisreicher und kompetenter sind als ich. Ich möchte, ein paar Bezugspunkte ansprechen, die ich bisher noch nicht so deutlich in der Diskussion wahrgenommen habe. (Ergänzungen, Anmerkungen und Fundamentalkritik sind wie immer gerne gesehen.)
In meiner Wahrnehmung ist in etwa seit Occupy Wallstreet (sicherlich auch deutlich früher, aber persönlich habe ich erst zu diesem Zeitpunkt angefangen immer mal ein Auge auf rechte Mobilisierungen jenseits von NPD und freien Kameradschaften zu werfen), in verschiedenen Teilen der rechten Szene immer wieder der deutliche Versuch zu finden, an bestehende große Mobilisierungen anzudocken oder deren deutsche Ableger zu etablieren. Mal mit mehr mal mit weniger Erfolg wurde der Anschluss an die Proteste gegen ACTA und TTIP oder auch gegen die EZB gesucht. Einen großen Erfolg konnten verschiedene Strömungen der rechten Szene bei den Mahnwachen für den Frieden 2014 erzielen. Zu den Mahnwachen selbst ist schon viel kluges gesagt wurden, ich beschränke mich auf die Wiederholung des Fakts, dass sich dort Teile des späteren Legida-Orga-Teams (z. B. Markus Johnke) oder auch spätere verschwörungsideologische Youtuber (Hagen Grell) stark politisierten.
In Deutschland versuchten Angehörige verschiedener rechter Strömungen die Ableger von Nuit Debout oder von den Gelben Westen zu etablieren. (Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die Nuit Debout-Ableger teilweise auch von französischen Erasmus-Studierenden organisiert wurden und sich gegen rechte Einflussnahme zu Wehr setzten.) Auch im Vereinigten Königreich und in Schweden gab es rechte Ableger der Gelben Westen, die sich eindeutig aus dem rechten Spektrum rekrutierten, während das französische Original zu Beginn etwas diffus war, jedoch wurden rechte im Verlauf herausgedrängt.
Bereits im Zuge der deutschen Gelbwesten wurden LKW-Blockaden diskutiert, aber mangels LKW und genereller Unterstützung nicht umgesetzt. Die heutige Diskussion über LKW- und Traktorblockaden bezieht sich nochmals stärker auf die niederländischen Bauernproteste. Die Bauernproteste, die sich dem Namen nach gegen Umweltauflagen richteten, aber stark von rechten Parteien durchzogen waren, setzten Traktorblockaden ein. Die niederländische Regierung setzte das Militär ein, um Straßensperren zu errichten, die nicht mal eben durchbrochen werden können. Bauernproteste in Deutschland nahmen durch Fahnen und sogar durch die Nachbildung des Logos Bezug auf die antisemitische Landvolkbewegung der 1920er Jahre. Am 7. November wurde für Leipzig groß ein Traktorkorso angekündigt (ein Traktor kam). Einerseits hoffen die verschörungsideologischen Seuchenfreund:innen auf tatkräftige Unterstützung mit Fahrzeugen, die sich, wie die Castortransporte im Wendland zeigten, nur schwer durch die Polizei räumen lassen. Andererseits sehe ich den Versuch den eigenen Protest zu legitimieren. Bäuer:innen sollen hier als Symbol für breite Bevölkerungsschichten den Protest maßgeblich unterstützen.
Der Versuch Landwirt:innen für sich zugewinnen, kann außerdem ein Rückgriff auf reaktionären Ideologieversatzstücke, die sich in der Ablehnung der (Groß-)Stadt als liberale/linke Orte zeigen, sein. (Natürlich gilt das nicht notwendigerweise für die Landwirt:innen, sondern für diejenigen, die sich mobilisieren wollen.)
Autoblockaden wurden auch aus dem Umfeld von Kubitscheks IfS propagiert, um die Unterbringung Geflüchteter zu behindern. Prominentes Beispiel für die Umsetzung war Clausnitz.
Es wird also Bilder aus dem EU-Ausland zurückgegriffen, die den Anschein eines Volksaufstandes erwecken sollen. Mit der expliziten Erwähnung der Traktorblockaden in den Niederlanden wird außerdem auf erfolgreiche, teilweise rechte Mobilisierungen zurückgegriffen. Gewissermaßen wird versucht rechte Protestmemes zu nutzen.
Allen Parallelisierungen zu 1933 und 1989 zum Trotz, gibt es, insbesondere mit linken Demonstrationen verglichen, nur geringe staatliche Repression gegen die verschwörungsideologischen Demos, unabhängig von deren Größe. Die geringe Repression erklärt vermutlich, weshalb nicht auf die, technisch ausgefeilten, Protesttaktiken aus Hongkong zurückgegriffen wurde, die in den USA im Zuge der antirassistischen Proteste gegen Polizeigewalt angewendet wurden. Ein weiterer Unterschied ist, dass die deutsche Polizei trotz entsprechender Tendenzen noch nicht so militarisiert ist, wie der US-Sicherheitsapparat. (Wenn in Wurzen Linke demonstrieren steht natürlich das SEK am Bahnhof offen bereit.) Beobachtungen auf den Großdemos zeigen jedoch, dass erheblich mehr Leute, nicht nur Hools, mit Schutzausrüstung auf den Demos auflaufen, was auf eine zunehmende Bereitschaft zur Militanz hindeutet.
Neben dem Versuch ein rechtes 1989-Reenactment zu etablieren greifen die aktuellen verschwörungsideologischen Demonstrationen auf Protestbilder aus dem EU-Ausland zurück, um eine Breite ihres Protests zu suggerieren, die es nicht gibt. Die geringe Repression, die ausgeübt wird, kann sicher auch erklären, warum bestimmte erprobte Taktiken nicht angewandt werde.
In Zeiten einer Pandemie hat eine Linke, die den Begriff der Solidarität ernst nimmt, naturgemäß einen strukturellen Nachteil gegenüber einer rechten, die sich für stark genug hält Infektionen zu überstehen. Solltet ihr euch in der Lage sehen (unter Beachtung verschiedenener Schutzmaßnahmen) Gegenprotesten zu beteiligen, dann tut dies bitte. Es ist aber auch völlig legitim zu Hause zu bleiben, um nicht sich oder andere zu gefährden.