Anstatt einer Buchbesprechung
Wer sich, wie ich, politisch irgendwie der ökologischen Linken (oder dem linken Teil der Umweltbewegung) verbunden fühlt und vor der Musk-Übernahme auf Twitter unterwegs war, ist beinahe zwangläufig auf Tadzio Müllers Thesen und Texte gestoßen. Tadzio hat vor ein paar Wochen sein Buch „Zwischen Friedlicher Sabotage und Kollaps. Wie ich lernte sie Zukunft wieder zu lieben“ veröffentlicht, was ich mit einigem Interesse gelesen habe. Durch die Lektüre habe ich mich wieder mit meinem Überlegungen zur Klimakrise auseinandergesetzt, die, obwohl ich lange Tadzios These vom Ende des Klimaschutzes irgendwie abgelehnt habe, erstaunlich kompatibel mit Tadzios Punkten scheinen.
Im weiteren Sinne, bin ich im umweltphysikalischen Bereich tätig. Warum schreibe ich das? Ganz einfach, ich habe einen naturwissenschaftlichen Hochschulabschluss und verbringe seit ein paar Jahren meinen Arbeits- und Büroalltag mit Menschen, die in ihrem Beruf Klimamodelle versuchen zum Laufen zu bringen, versuchen zu verbessern und versuchen ihre Ergebnisse zu interpretieren. Meinem Eindruck nach unterscheidet sich diese Welt von der politik- und sozialwissenschaftlich geprägten Welt der NGOs und Politikberatung. In gewisser Weise sind Überlegungen zum Klimakollaps auf eine abstrakte Art teil meines Alltags. In Kaffee- und Mittagspausen oder beim Bier nach Feierabend unterhalten wir uns über den bevorstehenden Kollaps. Wir reden über Bekannte, die in Erwägung ziehen ein Haus in Meeresnähe zu kaufen und die Rat zum steigenden Meeresspiegel und dem steigenden Sturmflutrisiko suchen. Wir reden über kommende Extremniederschläge und Extremdürren. (Durch Veränderungen der Niederschlagsmuster kann ich einer Region gleichzeitig das Dürre- und Überschwemmungsrisiko steigen. Das ist nur ein scheinbarer Widerspruch.) Relativ viele jüngere Kolleg*innen sind der Ansicht, dass sich private Altersvorsorge ohnehin nicht lohnt, denn wenn wir in den Ruhestand gehen, sind viele staatliche Funktionen, aber auch das Bankensystem und die Börsen wahrscheinlich ohnehin schon zusammengebrochen. Manchmal überlegen wir auch, ob handwerkliche und gärtnerische Fähigkeiten nicht die bessere Altersvorsorge wären. Wir reden über erhöhte Risiken von Pilzinfektionen, Viruspandemien und Ernteausfällen. Trotzdem war Tadzios These vom bevorstehenden Kollaps und vom Ende der bisherigen Klimapolitik eine Provokation, die ich intuitiv abgelehnt habe.
Während der Regierungszeit von George W. Bush veröffentlichte Kim Stanley Robinson seine „Science in the Capital“ Trilogie (2004 – 2007), die 2015 von Naomi Oreskes und Erik M. Conway als eines der wenigen Beispiele für die literarische Auseinandersetzung mit aburptem Klimawandel bezeichnet wurde. Trotz der geschilderten abrupten Veränderungen war die, in der nahen Zukunft spielende, Trilogie hoffnungsvoll. Als ich 2023 die Bücher noch einmal gelesen hatte, hatte sich die Hoffnung eher in Trauer gewandelt. Es war beim Lesen viel zu deutlich, dass die Bücher mittlerweile in einer alternativen Vergangenheit spielen. (Eine ähnliche Veränderung hat Naomi Kleins Buch „Die Entscheidung: Kapitalismus vs. Klima“ durchgemacht. 2015 erzählte es hoffnungsvoll von einem schmalen Zeitfenster, 2020 von einer verpassten Gelegenheit.) Auch für mich war 2018 das Jahr, in dem ich emotional verstanden habe, dass der Klimawandel uns in Europa ganz konkret erreicht hat und nicht erst um 2050 eine Rolle spielen wird. (Nebenbei gesagt, denke ich, dass ein weiter Teil von Bündnis 90/Die Grünen dieses Verständnis so nicht hatte, als sie den Lützerath-Kompromiss als wichtigen Zwischenschritt verteidigten. Vor 2018 hätte ich auch noch gedacht, dass es ein wichtiger erster Schritt war, nach 2018 war mir klar, dass es zu wenig war.) Nach 2018 wurde auch wieder besonders deutlich, wie sehr moderne Gesellschaften von einer klimatologischen Nische abhängen. Wenn im Sommer Frankreich Atomkraftwerke wegen der Hitze herunterfahren muss, wird klar, wie viel an einem überraschend schmalen Bereich der globalen Durchschnittstemperatur hängt und was ein weiterer Temperaturanstieg für folgen für unsere (post-)industriellen Gesellschaft haben kann.
Im Grunde teile ich die Einschätzung, dass es mit jedem Tag, jedem Monat, jedem Jahr schwerer wird, ein Umsteuern in der Klimakrise zu erreichen. Ähnlich wie Tadzio sehe ich gerade keine starke Bewegung. Zugegeben sind sowohl „Fridays for Future“ und „Extinction Rebellion“ relativ zügig aufgetreten und haben es geschafft recht viele zu mobilisieren. (Im Fall von Extinction Rebellion beziehe ich mich auf die ersten größeren Blockadeaktionen in London.) Es ist also gut möglich, dass ich völlig falsch liege. Den Schulterschluss von Fridays for Future mit den Gewerkschaften im ÖPNV finde ich extrem wichtig. Gleichzeitig sehe ich aber auch, dass Gewerkschaften im Grunde häufig Abwehrkämpfe führen und es teils auch eine gewisse Spannung zwischen Arbeitsplatzerhalt und sozial-ökologischer Transformation besteht. (Also mal abgesehen, davon, dass sozial-ökologische Transformation eher ein Buzzword ist.) Natürlich gibt es ermutigende Beispiele von Arbeiter*innen, die Betriebsschließungen durch einen Produktionsumstieg als bspw. Solarmodule, Windkraftanlagen etc. verhindern wollen und ihren Kampf auch mit der drängenden Klimakrise motivieren. Leider fürchte ich, dass diese tollen Beispiele auch nicht ausreichen werden.
Während ich mich zwar an Tadzios Begriff des „solidarischen Preppens“ störe, halte ich die Grundidee für total sinnvoll und gut. David Graeber hatte, wie ich mich zu erinnern glaube, in seinem Buch „Direct Action: An Ethnography“ sehr schön das Konzept der „Vorwegnahme“ (prefiguration, meine Übersetzung, ohne die deutschsprachige anarchistische Literatur gut zu kennen) beschrieben. Die konkrete Praxis anarchistischer Gruppen soll die befreite Gesellschaft vorwegnehmen. Im guten, wie im schlechten, hat die Covid-Pandemie wahrscheinlich das Leben im Klimakollaps vorweggenommen. In meiner Nachbarschaft entstand ein loses Netzwerk zur gegenseitigen Hilfe, was im wesentlichen darauf hinauslief Telefonnummern auszutauschen und sich gegenseitig Hilfe, vor allem beim Einkauf von Lebensmitteln, Klopapier und Medikamenten, im Fall einer Infektion anzubieten. Teilweise bestand das lose Netzwerk nicht mal aus Telefonnummern, sondern aus der Info, wo jemand wohnt – „wenn du was brauchst, komm vorbei, wir haben eigentlich immer einen vollen Kühlschrank“. Um auf Tadzios Beispiel Schweden einzugehen, gab es, so weit ich erkennen konnte, zwei größere Akteur*innen, die formalisierte Unterstützungsnetzwerke aufgebaut hatten: die Schwedische Kirche (die ehemalige Staatskirche) und die radikale Linke. Auf die schlechten Beispiel gehe ich nicht ein, ich denke, die sind allen präsent.
Das bringt mich zurück zur „solidarischen Kollapspolitik“ in der Klimakrise. Während der extremen Waldbrände 2022 wurde ich auf die, auf Wald- und Vegetationsbrände spezialisierte, Hilfsorganisation @fire aufmerksam. Ohne den Gedanken weiterzuverfolgen, hatte ich überlegt, dass mit eskalierender Klimakrise und wahrscheinlich immer heftigeren Waldbränden neben handwerklichen und gärtnerischen Fähigkeiten (siehe oben), Grundlagen der Waldbrandbekämpfung wahrscheinlich auch Teil einer guten Zukunftsvorsorge sind und eine dezidiert linke Waldbrandlöschgruppe mich persönlich sehr ansprechen würde. Trotz solcher Gedankenspiele habe ich noch zwei Jahre gebraucht, „solidarische Kollapspolitik“ für mich zu akzeptieren.
Nach der Wiederwahl Trumps konnte man die beinahe typischen linken Reflex auf Herausforderungen beobachten: Aufrufe sich zu organisieren. Natürlich ist es nicht falsch sich zu organisieren, das versuche ich ja auch irgendwie. Und es ist völlig klar, die Gegenseite organisiert sich auch und das auch recht erfolgreich. Der Kampf die weitere Erwärmung zu begrenzen wird wichtig bleiben, insofern hoffe ich auf ein Revival von Fridays for Future. Jedes weitere Zehntelgrad verursacht ein chaotischeres Klimasystem, was in der Folge mehr Leid als Folge haben wird. Sowohl in Analysen der politischen Rechten wie durch Sam Moore und Alex Roberts, die gemeinsam den antifaschistischen Podcast „12 Rules for What“ hosteten, aber in literarischen Texten, wie Margaret Atwoods „Das Jahr der Flut“, Ian Greens „Extrophile“ oder Stephen Markleys „The Deluge“ wird als mögliche Folge der Klimaerwärmung ein autoritärer Polizeistaat skizziert. Frei nach diesem klassischen Cartoon über die Klimakrise („What if it‘s a giant hoax and we create a better world for nothing“), kann vielleicht die Klimakrise noch schnell und entschieden aufgehalten werden und wir haben uns „völlig umsonst“ auf den Klimakollaps vorbereitet und Netzwerke gebildet, die am Ende keine Nischen in einem Polizeistaat aushöhlen mussten, wie sie Atwood und Green in ihren Romanen skizzierten. Um so besser.
Andreas Malm hatte in seinem Buch „The Progress of This Storm“ festgestellt, dass Klimaschutz zwingend antifaschistisch sein muss.
Was ich eigentlich sagen will: Ich kann das Buch von Tadzio empfehlen, auch wenn ich in Details anderer Ansicht bin. Und wer einen linken Waldbrandlöschworkshop organisieren will, sagt Bescheid, ich lerne gerne dazu.